Josef Kiening:  Genealogie und Häuser im Gebiet nordwestlich von München

Stallviehhaltung erst ab 1800

Die These, dass es im Getreideanbaugebiet zwischen München und der Donau Viehställe erst seit dem Jahr 1800 gibt, mag auf den ersten Blick ketzerisch erscheinen.

Selbst Josef Scheidl in "Das Dachauer Bauernhaus" (Callway München 1952) schrieb: "Kaum zu glauben, aber es ist so! Das selbstverständlichste Betriebsgebäude auf einem Bauernhof, den Stall, suchen wir jahrhundertelang vergeblich in den Quellen. Wie kommt das ?" Der Bauernhausforscher konnte sich einfach nicht vorstellen, daß es vor 1800 keine Ställe gab. Er ging dabei von den Klimabedingungen aus, die er kannte.

Klima-Verschlechterung erzwang die Stallviehhaltung

Das Mittelalter war bei uns eine Warmzeit, wärmer als heute Ab 1500 wurde es allmählich kälter und die Alpengletscher wuchsen. Die "kleine Eiszeit" erreichte um 1850 ihren Höhepunkt. Seitdem wird es wieder wärmer.  Noch um 1800 war es so warm wie heute, trotz Klimakatastrophe.. (Quelle: E. Kroemer in "Landkreis Fürstenfeldbruck", Theiss-Verlag Stuttgart 2007, Seite 30).

Vor 1800 war es so warm, dass das Vieh wirklich ganzjährig auf der Weide stand. Ausnahmen sind weiter unten erläutert.

Erst die Klimaverschlechterung erzwang die Stallviehhaltung. Der  Dreifelder-Wirtschaft wurde damit die Grundlage entzogen, nämlich die Düngung des Brachfeldes durch die Gemeindeherde. Die nun nicht mehr bewirtschaftete Gemeindeweide wurde zu gleichen Teilen an die Gemeindemitglieder verteilt.

Viehhaltung bis 1650

Bis zum Dreißigjährigen Krieg gab es bei uns Wölfe und Bären. Erst im Dreißigjährigen Krieg bekamen die Bauern Feuerwaffen in die Hand. Damit haben sie dann schnell die Raubtiere ausgerottet, mit Billigung der Obrigkeit. Das war also keine Wilderei. Bis zu dieser Zeit mußten die Haustiere vor allem im Winter, wenn die Raubtiere hungrig waren, geschützt werden und wurden nachts in einem massiv umzäunten Geviert untergebracht. Das kann ich zwar noch nicht beweisen. Die Reste dieser Viehgatter sind jedoch überall zu finden und werden heute üblicherweise als Römer- oder Keltenschanzen bezeichnet. Damals sagte man wohl einfach Stall dazu. Stand eine Burg in einem ähnlichen Bauwerk, dann war es ein "Burgstall". Technische Überlegungen zum Aufbau dieser rechteckigen Erdwerke mit Palisaden finden Sie auf der Seite Schanze.

Nach Ausrottung der Raubtiere wurden diese Anlagen nicht mehr benötigt und sind verfallen. Wo sie auf Ackerboden lagen, wurden sie überpflügt und sind heute nur noch auf Luftaufnahmen zu erkennen.

Viehbestand 1671 im Raum Dachau.

Das Steuerbuch von 1671 gibt detailliert Aufschluß über den Viehbestand. Diesen habe ich bei jedem Haus zitiert. Im 30-jährigen Krieg war der Bestand auf Null gesunken, aber bis 1671 war er schon wieder normal.

Die Pferde waren der Stolz des Ackerbauern. Zusätzlich zur Weide während der Arbeitspausen benötigen Pferde, wenn sie eingespannt werden, als Kraftfutter Hafer. Ein erheblicher Teil der Ackerfläche diente also nur dem Pferdefutter, im Fruchtwechsel mit Brotgetreide Weizen und Roggen.

Dazu kommen die zur Bestanderhaltung nötigen Jungtiere. In ihrer Freizeit waren alle Pferde zusammen auf der Weide, vom "Roßwächter" betreut.

Das gilt auch für die Kühe.

Im Jahr 1671 waren 6 Kühe und die dazu gehörenden Jungtiere normaler Bestand eines Bauern hier. Gütler und Sölden hatten entsprechend weniger. Eine Kuh mit Jungtier gehörte jedoch zu jedem Anwesen. Auch zum Häusler, der sonst keine Landwirtschaft betrieb, sondern mit einem Handwerk oder mit Tagelohn seinen Lebensunterhalt erwarb.

Alle Kühe eines Dorfes liefen zusammen in der Gemeindeherde, betreut vom Kuhhüter. Der Hüter kam wohl am Morgen und am Abend mit der Herde in die Nähe des Dorfes, bzw. früher in die oben beschriebene Umzäunung. Hier wurden die Kühe angebunden und von den Frauen gemolken. Etwas Milch und vor allem Butter als einzige Fett-Nahrung brauchte jeder Haushalt. Eine Vermarktung der Milch und Käseherstellung war hier unbekannt.

Nur bei strengem Frostwetter, wenn Schnee die Weide bedeckte, mußten Kühe und Pferde in Scheunen untergestellt werden. Eine geringe Menge Heu als Winterfutter wurde dazu eingebracht und gelagert. Häusler, die keine Scheune hatten, stellten ihre Kuh in den einzigen Raum, in dem ja sowieso die Hühner waren. Eine Kuh gibt Wärme ab und ersetzte die Heizung. Der Mist war vom üblichen Lehmboden leicht zu entfernen oder die Kuh wurde tagsüber zur Verdauung ins Freie geführt.

Überzählige (Jung-)Tiere wurden vor dem Winter geschlachtet oder verkauft. In den Rauch über dem Herdfeuer gehängt hielt das Fleisch über den Winter.

Ochsen werden 1671 bei uns ganz selten genannt. Die reichen Ackerbauern konnten sich Pferde als Zugtiere leisten. Stier gab es im normalen Dorf von etwa 20 Häusern nur einen. Er wurde vom Pfarrer gehalten, falls dieser wie üblich eine Landwirtschaft betrieb, ansonsten von einem Großbauern. Die übrigen männlichen Rinder wurden schon als Kälber oder Jungtiere geschlachtet.

Schweine wurden 1671 hier wenig gehalten, fast nur bei Großbauern. Schweine mußten ihr Futter selber suchen, zum Beispiel im Wald als Eichelmast. Die wenigen überwinterten Schweine bekamen Heusamen.

Schafe und Ziegen gab es in Ackerbau-Orten fast keine. Ziegenhaltung wurde wegen der Verbißschäden sogar verboten, mit der Ausnahme für ganz arme Leute, die sich keine Kuh leisten konnten. Laut Steuerbuch von 1671 war hier kaum jemand so arm.

Bienen haben 1671 nur einzelne Spezialisten. Das ist erstaunlich, war doch der Honig das einzige süße Nahrungsmittel, denn Zucker war auf dem Land nicht zu bekommen.

Zusammenfassung Weidebetrieb

Um die Felder vor dem streunenden Weidevieh zu schützen, war das Ackerland, und zwar jedes der drei Felder (Sommer- Winter- und Brachfeld, siehe Dreifelder-Wirtschaft ) mit den Äckern sämtlicher Bauern von einem Zaun umgeben. Das Feld lag während des dreijährigen Zyklus eineinhalb Jahre brach und war in dieser Zeit von Unkraut bewachsen. Vielleicht konnte der Hüter die Rinder so führen, daß sie vormittags auf den Wiesen fraßen und nachmittags auf dem Brachfeld verdaut haben.

Die Ackerbauern haben sich mit dem Vieh nicht viel Arbeit gemacht. Das Vieh suchte sein Futter selbst und ließ den Mist gleich auf das Brachfeld fallen. Für die wenigen Tage mit extremem Winterwetter genügte ein kleiner Vorrat Heu . Der Kuhhüter war Angestellter der Dorfgemeinde und wurde anteilmäßig von allen Gemeinemitgliedern bezahlt. Das gleiche gilt für den Roßwächter und den Schweinehirten.

Ställe für das Vieh waren also bei den Ackerbauern und ihren Dorfgenossen, den Gütlern und Häuslern nicht notwendig.

Ganz andere Verhältnisse waren in den Grünland-Betrieben. Gleich südlich von München, südlich des Waldgürtels, war Getreideanbau nur an günstigen Stellen möglich. Ganz allgemein ist hier die Niederschlagsmenge zu hoch und die Vegetationszeit zu kurz, so daß selbst anspruchslose Getreidesorten nicht reifen. Heute wird in diesem Bereich des Alpenvorlandes kein Getreide mehr gesät. Bis um das Jahr 1800 mag das bei günstigerem Klima noch stellenweise möglich gewesen sein, siehe dazu die Hauserbauern . Selbst bei den reinen Viehbetrieben spielte die Milcherzeugung keine große Rolle, denn die Milch war nur als Butter und Käse zu vermarkten. Hier wurde das Vieh natürlich immer schon im Winter in Ställen gehalten und die Heuernte hatte großen Umfang.

Die Klöster hatten immer Viehställe. Sie waren einfach fortschrittlicher als die Bauern. Die meisten Klöster lagen nicht im Ackerland, sondern in Gebirgsnähe. Da war die Viehhaltung nicht anders möglich.

Roßställe hatten im ganzen Land schon die Wirte, um die Pferde der Fuhrleute und Reisenden zu versorgen. Auch beim Metzger in Mammendorf wird ein Stall beschrieben. Sein Schlachtvieh hatte mit der Gemeindeherde nichts zu tun.

Umstellung auf Stallviehhaltung

Der größte Bauer im Raum Dachau, der "Rieder" in Durchsamsried , hatte 1671 sieben Kühe und 4 Jungrinder. Das war ein reiner Ackerbetrieb. Im Inventar von 1795 hat er schon einen Stall gebaut und darin standen "14 Melchkühe , 11 junge Rindln , 6 Abnehm Kaibl (Kälber) " . Er hat also 120 Jahre später seinen Viehbestand mehr als verdoppelt. Als Einödhof kannte er keinen Flurzwang wie im Dorf und konnte seinen Betrieb ohne Rücksicht auf andere modernisieren.

Diese Modernisierung der Landwirtschaft wurde einfach von der Klimaverschlechterung erzwungen. Fortschrittliche Bauern aus der Pfalz (Mennoniten) sind kurz vor 1800 in das Dachauer Gebiet zugewandert und haben es vorgemacht. Nun mußten Ställe gebaut werden. Meist behalf man sich zunächst mit provisorischen Unterständen im Stadel, ohne Einzelstände.

Es war natürlich viel mehr Arbeit, für das ganze Jahr das Futter auf den Wiesen zu schneiden und zum Stall zu transportieren. Für den Winter mußte viel mehr Heu eingelagert werden. Dazu kam das Getreidestroh als Einstreu. Es wurde nicht mehr für Strohdächer benötigt, denn die Brandversicherung verlangte nun eine Ziegeldeckung. Das Stroh wurde von den Tieren zu Mist veredelt. Der Mist wieder war in schwerer Arbeit erst zu lagern und dann auf den Acker zu fahren und gleichmäßig aufzubreiten.

Die Stallviehhaltung hatte mehr Vorteile. Seuchen erfaßten nicht mehr alle Tiere eines Dorfes, da diese nicht mehr in einer Herde zusammen waren. Die Milchmenge ließ sich steigern, indem man Kälber nicht mehr saugen ließ, sondern nur die entrahmte Milch verfütterte.

Es konnte nur das ganze Dorf gleichzeitig die Betriebsweise umstellen. Zugleich wurden die Gemeindegründe, die vorher beweidet wurden,  als Einzelparzellen an die Gemeindemitglieder verteilt, da sie nun gemäht werden mußten. Erstaunlich war dabei, dass alle Anwesen, egal ob Großbauer oder Häusler, gleich große Parzellen bekamen. In München-Aubing waren das 14 Tagwerk je Haus, siehe Aubing. So wurden plötzlich alle zu Landwirten, obwohl sie vorher von einem Handwerk oder Tagelohn gelebt hatten. Das Handwerk wurde folgerichtig aufgegeben. Es war ohnehin schon die industrielle Konkurrenz bemerkbar. Die Intensivierung beschäftigte viel mehr Personal und die Bevölkerung vermehrte sich. Vielleicht ließ man nicht mehr so viele Kinder als Säuglinge sterben, sondern ernährte sie, bzw. die Mütter besser, so dass die Säuglinge das Kleinkindalter überlebten. Mehr als die eigene Ernährung produzierten die neuen Kleinlandwirte jedoch nicht, trotz größerem Arbeitseinsatz und besseren Methoden. Spätestems um 1950 haben sie die Landwirtschaft wieder aufgegeben. Immerhin haben sie in dieser Zeit große Flächen für die intensive Landwirtschaft nutzbar gemacht und so die Ernährung einer größeren Bevölkerung ermöglicht.

Der oben genannte Riederbauer und sein Dorf Ampermoching hatten schon 1795 Ställe. Andere Orte folgten 1803 und die darauf folgenden Jahre mit der Gemeindegrundverteilung. In großen Orten war es schwieriger, alle von der Veränderung zu überzeugen. Mammendorf hat erst 1829 den Gemeindegrund verteilt, in zwei Etappen, erst für das Unterdorf, dann das Oberdorf.

Der Gemeindegrund war in den ersten 25 Jahren steuerfrei, denn er mußte erst kultiviert werden, brachte also am Anfang kaum einen Ertrag. Als sich dieser einstellte, wurden in den Dörfern so um 1835 und nochmal um 1865 fast alle Gebäude neu gebaut, so wie wir sie noch kennen und wie sie Scheidl beschrieben hat. Haus und Stall wurden aus Ziegeln gemauert. Nur die nun wesentlich größeren Scheunen waren noch häufig als Holz.

Haben Sie noch Zweifel ?

Falls Sie sich eine ganzjährige Viehhaltung im Freien nicht vorstellen können, möchte ich auf ein anderes Beispiel verweisen, wie schnell ganz selbstverständliche Sachverhalte von anderen ersetzt werden. Noch um 1850 war eine Kindersterblichkeit von 50 % ganz normal und nicht erwähnenswert. Der Verfasser, nicht einmal 100 Jahre später geboren, war jedoch geschockt, als er das bemerkte, siehe Veränderungen. Die Kindersterblichkeit ist für jeden Familienforscher aus dem Taufbuch sofort ersichtlich. Die nicht vorhandenen Ställe sind nicht so leicht in den Quellen zu sehen, denn etwas nicht vorhandenes steht natürlich auch nicht in der Archivalie.

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(C) 2007 Josef Kiening, zum Anfang www.genealogie-kiening.de