Josef Kiening: Lebensgeschichte meines Vaters Josef Kiening 2. Teil

Ergänzungen 2008 zu "Mein Lebenslauf" von  Josef Kiening senior *1907

(eigenhändig aufgeschrieben 1986/87 von Josef Kiening senior, unverändert ab getippt 2008 von Josef Kiening junior.)

Zum ersten Teil (eigenhändig geschrieben)

Hier versuche ich zu ergänzen, was mein Vater nicht beschrieben hat.

Die Bäckerei in der Parkstraße

Die Bäckerei mit dem Laden hat mein Vater 1937 mit einer nicht neuen, aber der Zeit entsprechenden Ausstattung gekauft, die Räume aber nur gemietet.  1940 mußte er in den Krieg und kam erst 1948 aus der Gefangenschaft heim. Von 1.3.1949 bis 1.9.1957 betrieb er die Bäckerei wieder. Ich war damals zwischen 7 und 16 Jahre alt und schrieb das folgende 2008 auf.

Wir wohnten in der Parkstraße 13.  Das vierstöckige Eckhaus steht heute unter Denkmalschutz und hat jetzt die Hausnummer Parkstraße 25.
Im Erdgeschoß befand sich von links (Gollierstraße) nach rechts (Parkstraße): Ein Speiselokal mit Küche in den Hof hinaus, ein winziger Tabakladen, der von einem älteren Fräulein geführt wurde, ein Metzgerladen mit Kühlraum. Das Schlachthaus dazu war in der Nähe in einem Rückgebäude. Am Eck war unser Bäckerladen mit 2 Schaufenstern. Nach der Haustüre noch ein Flickschusterladen mit Werkstätte und ein Pelzladen mit Nähraum. Den Pelzladen hatte ursprünglich ein Schneider. 

Früher war der Schuster an der Stelle des Bäckerladens, weshalb am Hauseck ein großer goldener Stiefel montiert war und uns die Leute als Stiefelbäcker bezeichneten.  Der Schuster hat mit dem Bäcker getauscht und  ist in den kleineren billigeren Laden gezogen. Seitdem gab es keine Verbindung mehr zwischen Backstube und Laden, denn nun lag der Schusterladen über der Backstube. Der Tausch war lange vor der Zeit meines Vaters.

Der Laden meiner Eltern hatte zwei Schaufenster. Das größere und die Ladentüre sind im abgeschrägten Eck des Hauses. Neben dem Laden war noch ein kleines Zimmer. Hier wohnten wir und hier schlief das Hausmädchen, das wir  Anfangs der Fünfzigerjahren  zeitweise hatten. Neben dem Zimmer  im  Erdgeschoß war noch eine winzige Küche mit Herd, kleinem Schrank und Wasserstelle, ein Wasserhahn und ein halb runder gusseiserner Ausguss. 

Wir schliefen  in einer Zweizimmerwohnung im ersten Stock.  Das  eigentliche Wohnzimmer im  ersten Stock wurde nur  an Sonntagen beheizt und war  sonst praktisch unbewohnbar. Hier schlief ich erst auf einer Eck-Liege, dann in einem Klappbett. Daneben war das Schlafzimmer meiner Eltern. Diese zwei Zimmer waren nur die Hälfte einer Vierzimmerwohnung.  In den anderen 2 Zimmern wohnte ein altes Paar namens Gradl. Man ging vom Treppenhaus zuerst durch eine Wohnungstüre in einen finsteren Gang mit Wasserhahn und Ausguss. Hier mußte man nochmal eine Türe aufsperren und kam in die Zweizimmerwohnung,  Das zweite Zimmer war vom ersten aus zu betreten, nicht vom Gang. Dazu  gehörte ein Klo im Treppenhaus, also außerhalb der Wohnung und von beiden Mietern gemeinsam zu benützen.

Im Erdgeschoß gab es ebenfalls ein Klo über den Hausgang zu erreichen, das wir gemeinsam mit den benachbarten  Ladenbesitzern benützten.

Kellerbäckerei


Die Bäckerei befand sich im Keller. Vom Hausgang ging es vor der Hoftüre erst über eine gemauerte Treppe in den Keller. Die Hälfte des Kellers waren Kellerabteile zu den Wohnungen, die andere Hälfte war die Bäckerei. Hier mußte man erst eine Türe aufsperren und durch einen finsteren Gang tappen, der dem darüber liegenden Treppenhaus entsprach.  Die Bäckerei war sehr verwinkelt, denn hier im Keller waren ja die Fundamente der Wände der Wohnungen darüber. Alle Kamine gingen bis in den Keller . Hier  waren viele Rußtürl für den Kaminkehrer, der wegen der Ofenheizung monatlich kam.

Im Südwest-Eck des Hauses war der Backofen, so groß wie das Zimmer darüber, knapp 20 qm.  Daneben die Backstube, die zwei Zimmer-Grundrisse umfasste und durch den Backofen daneben etwas warm war. 

Der Backofen


Der Backofen hatte knapp die Größe des darüber liegenden Ladens bzw. der Schlafzimmer in den oberen Stockwerken. Es war ein aus Schamottesteinen gemauertes etwa 50 cm hohes Gewölbe mit einem Boden ebenfalls aus Schamottesteinen.  Anstelle der Zimmertüre war die eiserne Ofentüre zum hoch schieben. An zwei Seilen hingen Gegengewichten und hielten die Ofentüre in der  offenen Stellung fest. Damit der Bäcker ohne Bücken arbeiten und in den Ofen schauen konnte, war der Kellerfußboden vor dem Ofen um zwei Stufen tiefer gelegt. Der Innenraum des Backofens war von der Türe weg nach hinten leicht ansteigend. Das Gewölbe darüber wohl auch.  Das Feuer zum Aufheizen des Ofens war gleich hinter der Türe in einer Vertiefung. Der Rauch zog dann durch das Gewölbe und erst wenn er sich etwas abgekühlt hatte durch eine von außen nicht sichtbare Öffnung  in den Kamin ab. Bevor er backen konnte, mußte mein Vater die Asche weg putzen.  Dazu schleuderte er einen an einer langen Stange befestigten  nassen Lappen kunstvoll kreisend mit der Stange herum. Das hat mächtig gezischt und gedampft, wobei der Dampf zum Backen erwünscht war. Die Asche wurde durch den Rost geräumt und der Rost mit Eisenplatten zugedeckt.

Ein Vertreter hat ihm einmal ein Backofengebläse aufgeschwatzt. Das war wie ein Kübelstaubsauger, bei dem der Schlauch auf die Ausblasöffnung gesteckt werden konnte. An einem langen  Eisenrohr war eine  U-förmige  Ausblaseöffnung. Damit blies er sich aber die Asche ins Gesicht und außerdem kalte Luft in den Ofen. Das hat er einmal probiert und dann stand das Gerät jahrelang herum.
Die Rauchabzugsöffnung wurde durch eine von außen zu betätigende Klappe verschlossen, denn die Wärme sollte im Ofen bleiben. Gebacken wurde also durch die in den Steinen gespeicherte Wärme.

Die Schamottesteine der Ofenausmauerung mußten  alle 3 Jahre erneuert werden. Das geschah immer an einem Dienstag nach Pfingsten, wenn der Ofen über Sonntag und Montag etwas abgekühlt war.  Ein spezialisierter Maurertrupp riss erst die Ofentüre und Wand darum heraus. Dann mußte ein etwas geistig behinderter Hilfsarbeiter in den noch ziemlich warmen Ofen schlüpfen  und das Gewölbe heraus brechen. Nachdem die alte Ausmauerung entfernt war, wurde Boden und Decke aus neuen Schamottesteinen eingemauert. Die Bretterschalung des neuen Gewölbes wurde wohl beim ersten Heizen mit verbrannt. Dann war der Ofen am nächsten Tag wieder gebrauchsfähig.

Bei der ersten Erneuerung etwa 1950 wurde in den Hohlraum über dem Ofen ein Wasserbehälter von schätzungsweise 60 Liter Inhalt eingebaut. Davon konnte mein Vater über einen Hahn etwas Wasser in den Ofen lassen, das sofort zu Dampf wurde und scheinbar gut für den Backvorgang war. Außerdem hatten wir einen Wasserhahn für heißes Wasser in der benachbarten Backstube . Da stellten wir so einmal wöchentlich eine verzinkte Blechbadewanne darunter und konnten mit dem heißen Wasser baden.  Eigenartigerweise kam dieser Warmwasserboiler ohne Sicherheitseinrichtungen aus. Er hatte das heute vorgeschriebene Rückschlagventil nicht und die Ausdehnung des Warmwassers drückte in die Wasserleitung zurück. Der Platz des Boilers war wohl so gewählt, daß das Wasser beim üblichen Wasserleitungsdruck nicht zum Kochen kam. Drehte man die Leitung auf, so kam es schon vor, daß sich Dampfblasen bildeten und mit lautem Knall aus dem Wasserhahn schossen. Jedenfalls hat diese primitive Installation funktioniert.

Durch den Backofen und seinen Kamin wurde diese Ecke des ansonsten feuchten Hauses trocken geheizt. Die Wohnungen bis in den zweiten Stock brauchten keine Heizung. Der Kürschner im Pelzladen über dem Backofen beklagte sich aber sehr, daß er  im Sommer die Hitze kaum aushalten konnte.

Der Raum vor dem Backofen erhielt nur durch kleine Glasscheiben in der Türe zur Außentreppe in den Hof etwas Tageslicht und konnte nur über diese Türe belüftet werden. Er  war verwinkelt, wie die Wohnungs-Gänge und Küchen darüber, mit einigen finsteren Nischen.  Der Boden war aus Ziegelsteinen oder Beton. Auf der Hofseite stand der Keller etwas in den Hof hinaus und war mit einem Bechdach oben abgedeckt.  Seitlich hatte er eine kleine Klappe, durch die der Kohlenhändler die Briketts vom Hof aus herunter kippte. Wenn der Kohlenhaufen nach der Lieferung sehr hoch war, konnten wir Kinder durch die Öffnung auf den Kohlenberg klettern. Daneben gab es die holzverschalte überdachte Treppe  in den Hof hinaus,  die  aber nur von mir gerne als Spiel- und Bastelplatz benützt wurde. Die obere Türe ging nach Süden auf . Dahinter war es warm und trocken, deshalb mochte ich diesen Platz.

Die Backstube

In der Backstube wurde der Teig hergestellt und bearbeitet. Der Raum hatte eine Türe und einen Holzbretterboden und war dadurch wärmer als der übrige Bäckerei-Keller. An der an den Backofen grenzenden Innenwand war die "Tafel" aufgebaut, ein etwa 4 m langer und 1 m breiter Tisch, auf dem der Bäcker arbeitet.  Das Untergestell war ein ebenso langer Trog, der nicht benützt wurde.
Am linken Ende war eine Waage aufgehängt, daneben stand die "Teigteilmaschine". Da legte man einen flachen Teigfladen darauf, schloß den Deckel darüber und kippte einen schweren Hebel, der am Boden befestigt war, einmal nach links und wieder zurück nach rechts. Dabei fuhr ein Blechgitter durch den Teig und stanzte daraus  30 gleiche Portionen, aus denen dann Semmeln oder Brezen geformt wurden.  Damit der Teig nicht in der Maschine festklebte, wurde die Auflage und der Deckel vor jeder Teilung mit Mehl eingestaubt. 

Rechts von der Tafel war ein Fenster in der Außenwand. Davor war ein Kellerschacht unter dem Gehsteig, der oben mit einem Gitter abgedeckt war. Das Gitter war mit Stangen befestigt, die unten leicht gelöst werden konnten, worauf das Gitter oben herausgenommen werden konnte.  Wenn das Auto eines Müllers mit Mehlsäcken kam, hielt es auf der Straße genau vor dem Schacht. Parkende Autos gab es damals noch nicht.Wir öffneten das Fenster im Keller und die Gittersicherung und stellten ein breites Brett schräg in den Schacht. Der Müller hob die 50-kg Mehlsäcke vom Wagen und ließ sie über das schräge Brett auf den Fenstersims im Keller rutschen. Hier stand der Beifahrer des Müllers mit dem Rücken zum Fenster, hob den Sack von der Fensterbank auf seinen Rücken und ließ ihn einige Schritte daneben auf dem Boden gleiten.

Im hinteren Teil der Backstube war also das Mehllager. Für jede Mehlsorte stand eine Reihe Säcke auf dem Holzboden. Zwischen den Sackreihen ließ man  so viel Platz, daß die Katze auf ihren Kontrollgang dazwischen schlüpfen konnte.

Zwischen den Mehlsäcken und der Tafel war die Knetmaschine, ein Ungetüm mit einem etwa 130 cm breiten  und 50 cm tiefen Trog aus Gußeisen. Der Trog war drehbar und hatte Räder. Er wurde in die Knetmaschine geschoben Der Knetarm war mit einem großen Eisenrad in den Trog herunter zu drehen. Angetrieben wurde Trog und Knetarm  von einem unter der Decke montierten Motor über einen breiten Lederriemen. Das Leder war zu einem Ring genäht. An der Nahtstelle lag das Leder über einander und immer wenn diese Stufe über das kleine Antriebsrad des Motors lief, rumpelte es. 

Außerdem gab es eine Rührmaschine, so ähnlich wie eine alte wuchtige Standbohrmaschine, aber mit einem asymetrisch montierten  Schneebesen, der in einer tiefen Blechschüssel herum fuhr. Ein kleiner Küchenherd diente zum Erwärmen von Konditormassen, Pudding und Fettglasuren.

In und außerhalb der Backstube gab es Gestelle wie zwei große senkrechte Rechen an der Wand. Darauf wurden die Bretter mit den ofenfertigen Backwaren geschoben.

Die Bäckerarbeit

Mein Vater stand an jedem Werktag um 4 Uhr auf, am Samstag etwas früher. Er zündete das vorbereitete Feuer im Backofen an und schaltete die Knetmaschine ein.  Für das Feuer mußte ich als Schulbub am Nachmittag 3 oder 4 Blechkübel mit Brikett (Kohlen)  füllen. Die Brikett waren durch aufeinander schlagen zu halbieren.

Die Teigmischung für das Brot wurde ebenfalls am Abend vorbereitet: Mein Vater siebte das Mehl in den Trog, legte je ein Häuflein Salz, Hefe und Sauerteig hinein. Als Sauerteig wurde vom Vortag stets ein Rest des Brotteiges übrig gelassen.

Wenn um 4 Uhr früh  die Knetmaschine lief, rumpelte es durch das ganze Haus. Aber die Leute wussten ja, was es war und schliefen weiter.

Meine Mutter stand eine halbe Stunde nach meinem Vater auf. Dann war der Teig fertig gerührt und sie half  das Brot zu  formen. Jeweils die Teigmenge für einen Wecken wurde auf die Waagschale gelegt. Meist stimmte das Gewicht gleich, denn ein Bäcker hat schon Übung. Die Wecken wurden geformt und auf die mit Tüchern belegten Bretter aufgereiht. Waren sie genügend aufgegangen, wurden die etwa 2 Meter langen Bretter aus der Backstube in das Gestell vor dem Ofen getragen.

Bis alle Brote geformt waren, war das Feuer im Ofen abgebrannt. Meine Mutter hat sich dann für die Ladenöffnung umgezogen.
Mein Vater hat die Bretter mit den Brotlaiben nach einander  auf  Schragen (kleine Holzböcke) vor dem Ofen gestellt. Ein Teil des Brotes wurde mit Gewürz bestreut. Mit einer Stachelwalze wurden kleine Luftlöcher in die Teigoberfläche gestochen.

Die Laibe wurden auf  die davor  liegende  "Schiesel" , das ist ein  langes  schmales  Brett mit einem langen Griff am Ende, gelegt und auf der Schiesel in den Ofen geschoben. Das nannte man "Einschießen".  Mit einem seitlichen Ruck sollten die Laibe vom Brett  auf die Steine im Ofen rutschen. Nur zum Einschießen wurde die Ofentüre kurz geöffnet und die Brotlaibe schön in Reihen in den Ofen gelegt, ohne den Teig zu verformen.

Während das Brot gebacken wurde, bereitete mein Vater den Teig für die Semmeln. Er wog dazu immer Teig  für 30 Semmeln aus,  teilte diese auf der Teigteilmaschine und "schliff" die Semmeln rund. Dann war es Zeit, die ersten Brotwecken aus dem Ofen zu schieben und in den Laden hinauf zu tragen, damit um 6 Uhr zur Ladenöffnung frisches Brot bereit war.

Mit den Semmeln ging es schneller, sie wurden auf schmälere Schieseln gelegt und im Ofen umgekippt. Sie brauchten nicht mehr so viel Hitze wie das Brot. Die fertigen Semmeln wurden zwischen zwei alten abgewetzten Schieseln aus dem Ofen gerollt und fielen in den vor der Ofentüre stehenden Semmelkorb. Da kamen kurz nach 6 Uhr die ersten Semmeln in den Laden, damit die Kunden auf dem Weg zur Arbeit ihre Brotzeit kaufen konnten.

Letzter Arbeitsgang waren die Brezen. Dieser Teig war fester als der Semmelteig und wurde ebenfalls mit der Teigteilmaschine dosiert. Vor dem Ofen wurde die Brezen jeweils 5 Stück auf einem Lochblech in Lauge getaucht und die Schiesel mit grobem Salz bestreut. Mit der Oberseite nach unten auf dem Salz liegend, waren die Brezen im Ofen geschickt durch drehen des Brettes abzukippen und durften dabei nicht verformt werden.

Wenn die Backwaren alle aus dem Ofen und in den Laden gebracht waren, kam die Konditorarbeit. Der Kuchenteig wurde mit der Rührmaschine gemischt,  auf Bleche gestrichen oder in Formen in den Ofen geschoben.  Wenn der Teig kalt war, entstanden daraus Torten oder kleine rechteckige Törtchen.  Am späten Vormittag war mein Vater in der Backstube fertig und konnte meine Mutter im Laden ablösen, damit sie das Mittagessen bereiten konnte.


Mein Taschengeld


Etwa so ab 10 Jahren bekam ich Taschengeld, das ich mir durch Arbeit in der Backstube verdienen mußte. Ich denke, es waren 10 Pfennig je Tag. Dafür mußte ich nach der Schule die eingetrockneten Teigreste aus der Teigteilmaschine kratzen. Die 30 Vierecke hatten 120 Ecken und 120 Flächen, die abzukratzen waren. Mein Vater hasste diese Arbeit wohl genauso wie ich, deshalb delegierte er sie.  Leichter abzukratzen war der Trog der Knetmaschine und der Knetarm. Wenn während dieser Arbeit schon meine Schulfreunde kamen, kletterte die Kinderschar  in den Trog zum Karussell fahren und einer drehte den Trog.

Außerdem hatte ich die Kohlenkübel zu füllen, wie oben schon erwähnt.

In den Schulferien hatte ich die Semmel- und Brezenkörbe von der Backstube in den Laden hinauf zu tragen. Dabei halfen meine Freunde. Wir fassten die Körbe zu zweit, einer vorne und einer hinten und kamen dadurch leichter durch die Türen. Meine Freunde wurden dafür mit Brezen oder übrig gebliebenen Konditorsachen belohnt. Buben haben immer Hunger.

Der Laden

Bäckerläden mit ähnlicher Ausstattung gibt es auch heute im Jahr 2008  noch. Auf dem Ladentisch  war ein Glasaufbau, der zur Verkäuferin offene Fächer hatte, zum Kunden aber mit einer Glasplatte geschlossen war. Hinter dem Glas lag die Ware in  Fächern. Die größten Fächer enthielten Semmeln und Brezen.  Die Konditorsachen, Kuchen und Torten waren im Schaufenster aufgestellt. Die Brotwecken waren in einem Regal hinter der Bäckerin aufgereiht.

Der Unterschied zu heute war: Alles wurde unverpackt gelagert und erst für den Kunden eingepackt. Lose Waren, wie Mehl wurden dazu in eine auf der Waage stehende Tüte ein gewogen.

Neben der Ladentheke stand eine Semmelschneidemaschine. Mit dieser wurden alten Semmeln zu "Knödelbrot" aufgeschnitten. Semmelknödel standen damals wohl oft auf dem Speisezettel.

Das Schaufenster nach Westen war mit Schokoladentafeln oder ähnlichem je nach Jahreszeit dekoriert. Dazu kamen von den Schokoladenfirmen professionelle Schaufenster-Dekorateure und haben das dem Stil der Zeit entsprechend kunstvoll aufgebaut.

Einmal sagte meine Mutter zu mir: "Da  hat  einer  gerade aus dem Fenster eine Tafel  Schokolade gestohlen. Der wird sich wundern,  das ist eine Schaupackung." Die Packungen für das Schaufenster enthielten  nur Karton, denn Schokolade wäre in der Sonne verdorben.

Am Nachmittag war es im Laden ruhig, da war Zeit für andere Arbeiten, für Hausarbeiten oder Buchführung.

Abends um 18 Uhr wurde der Laden geschlossen, das Geld in der Kasse gezählt und der Laden geputzt. Damals wurden die Löhne noch wöchentlich in bar einschließlich Kleingeld ausgezahlt. Dadurch bekamen wir viele kleine Münzen in die Kasse, die zu 100 Stück in Papier gerollt wurden. Auf die Rolle wurde außen der Bäckereistempel gedrückt und dann wurden die Rollen zur Bank gegeben oder für Zahlungen verwendet.  Die Firmen holten die Lohngelder einschließlich Münzen von der Bank und über die Geschäfte kamen die Münzen zu den Banken zurück.

Um 20 Uhr lag die ganze Familie im Bett, sehr zur Verwunderung meiner Schulfreunde, die um diese Zeit erst munter wurden.

Oktoberfest

Die Parkstraße war ja nur 2 Straßenkreuzungen von der Theresienhöhe und damit vom Oktoberfest entfernt. Damals Anfang der 1950er-Jahre gingen die Leute noch zu Fuß hin, um das Trambahn-Zehnerl zu sparen. Deshalb kamen  Samstags ab mittag und am Sonntag schon am Vormittag  alle Bewohner des Münchener Westens, bis aus Laim und Pasing, durch die Gollierstraße wie eine Völkerwanderung daher. Sie kauften  bei uns  Brezen, denn hier gab es diese zum normalen Ladenpreis, während auf der Wiesn alles teurer war.

Mein Vater konnte an solchen Tagen gar nicht genug Brezen backen. Frisch aus dem Ofen wurden sie noch warm verkauft.  An diesen Wochenenden kam mein Onkel Michel aus Oberschweinbach zu Hilfe. Er war gelernter Bäcker,  arbeitete aber als Elektriker. Michel hat die Brezen gedreht, ich mußte sie in die Lauge tauchen und  mein Vater stand nur am Ofen und hat pausenlos Brezen hinein geschoben und heraus geholt. Meine Schulkameraden trugen die Körbe in den Laden.

Die Buchführung

Mein Vater hat jeden Abend die Tageseinnahme gezählt und aufgeschrieben. Die Rechnungen für die gekauften Waren hat er in einem Leitz-Ordner gesammelt. Die bunten Papiere der Rechnungen mit ihren farbigen Firmen-Köpfen haben mich fasziniert.  Für eine Einnahmen-Ausgaben-Überschußrechnung mußte mein Vater Listen von den Rechnungen schreiben und jährlich die Steuererklärungen ausfüllen. Ab und zu kam ein Finanzbeamter und hat diese Buchführung nach kontrolliert. Das ging ohne große Beanstandungen.

Nachdem die Bäckerei geschlossen war, haben wir die ganze Buchführung im Ofen verheizt.

Wir hatten  kein Telefon. Für die Bestellungen ließen die Firmen Vertreter laufen. Diese brauchten nicht weit gehen, denn in jedem 3. Haus gab es eine Bäckerei. Die Vertreter kamen regelmäßig und haben die Bestellungen notiert. Bei Lieferung wurde bar bezahlt. Vieles ließ mein Vater von der Bäckereinkaufs-Genossenschaft "Elbim" liefern. Dort hatte er ein Konto, auf das er seinen Geldüberschuß eingezahlt hat, denn es wurde mit 4 % verzinst.

1949 hat er  bei Null angefangen und 1957 bei der Schließung der Bäckerei  hatte er 4000 Mark auf diesem  Konto. Das war alles, was von 8 Jahren Bäckerei übrig geblieben ist. Die 4000 Mark waren viel Geld, denn er hätte damals ein schönes Baugrundstück oder ein altes Häuschen am Stadtrand dafür kaufen können. Dazu  fehlte meinem  Vater das  Vorbild und  er ist nicht auf eine solche Idee gekommen.  Die Geldentwertung hat auch dieses Geld weg geschmolzen.

Schließung der Bäckerei


1957 noch vor dem Oktoberfest wurde das Münchener Westend von Gleichstrom auf Wechselstrom umgestellt.  Das war das endgültige Ende der Bäckerei. Die Kellerbäckerei hätte mein Vater schon ein Jahr vorher schließen müssen. Da der Termin der Stromumstellung bekannt war, bekam er noch eine befristete Ausnahme-Genehmigung. Zuletzt wurden wir noch über ein lose auf der Straße liegendes Kabel mit Gleichstrom versorgt. Der Gleichstrom kam aus einem E-Werk hinter dem Ausstellungspark an der Ganghofer Straße.

Die schweren gusseisernen Maschinen mit den großen Gleichstrom-Motoren hat ein Schrotthändler abgeholt. Alle Möbel und Holz-Gegenstände haben wir aus dem Keller in den Hof getragen und ich habe sie mit Begeisterung zu Brennholz zerkleinert. Ich war gerade 16 Jahre alt und schon kaufmännischer Lehrling.

Etwa ein Jahr lang haben wir die übrig gebliebenen Waren gegessen. Wenn wir Verwandtschaft auf den Land besuchten, nahmen wir Tüten mit übrigen Süßigkeiten mit.

Als einziges besitze ich noch die Zeigerwaage aus dem Laden, ein schweres Präzisions-Instrument, das heute noch genau wiegt.

Da wir mit der Bäckerei auch die Wohnung räumen mußten, war es ein Glück, daß im 2. Stock des Hauses ein altes Paar namens "Glück" gestorben war und eine Teilwohnung mit 2 Zimmern frei wurde. Die Hausverwalterin  hat sich sehr für uns eingesetzt, damit wir vom Wohnungsamt diese 2 Zimmer "zugeteilt" bekamen.  Im gleichen Gang  lebten noch 2 Familien, die jede nur ein Zimmer hatten und ebenfalls die 2 Zimmer wollten. Da war von Anfang an ein gespanntes Verhältnis. Als wir ein Jahr später, 1958  in die Zenettistraße zogen, konnten sich die anderen beiden Mieter ausbreiten und hatten dann je 2 Zimmer.  Wohnraum war damals hart umkämpft.

Die Wohnung hatte noch einen aus Kacheln gemauerten Herd, den meine Eltern durch einen eisernen Wamslerherd ersetzen ließen. "Wamsler" war eine Ofenfabrik in München-Laim.   Außerdem kauften wir  einen Kühlschrank. Das war jetzt möglich, da wir ja nun den üblichen Wechselstrom hatten. Ich schlief im Wohnzimmer, das gleichzeitig Küche war.

Mein Vater als "Umroller" im Alkorwerk


Mein Vater wollte nicht mehr als Bäcker arbeiten und nahm eine Arbeit im Alkorwerk in Solln an. Hier blieb er von 1957 bis zu seinem Ruhestand 1972, also 15 Jahre. Vom "Umroller" wurde er zum "Warenprüfer" befördert, aber die Arbeit blieb die gleiche. Mein Vater hat keinen besonderen Ehrgeiz entwickelt, sondern zur Zufriedenheit seiner Chefs die Arbeit getan.

Die Firma hat Plastikfolien hergestellt, was mit erheblichem Gestank verbunden war.  Die Arbeit eines Umrollers war, meterdicke Fabrikrollen in handliche Verkaufsrollen umzuwickeln. Dabei mußte die Ware auf Fehler kontrolliert werden und die Ränder auf die gewünschte Rollenbreite glatt geschnitten werden. Es war Akkordarbeit und wurde nach Metern bezahlt. Die Umroll-Maschinen maßen sowieso die Längen der Folien auf den Rollen. Die gleichen Zahlen wurden für die Akkord-Lohn-Abrechnung benützt.

Um die schweren Rollen zu heben, mußten immer zwei Männer zusammen arbeiten. Die Titel waren "Umroller" und "Helfer".  Die Helfer waren anfangs Griechen, später Türken. Sie bekamen viel Post aus der Heimat und haben meinem Vater die Briefmarken geschenkt. Diese habe ich noch in der Sammlung.

Gearbeitet wurde in 3 Schichten. Da für die Nachtschicht kaum eine brauchbare Verkehrsverbindung mit Straßenbahn und Bus nach Solln bestand, kaufte mein Vater ein Moped, das wie ein Motorroller aus geschaut hat, aber nur 40 km/h schnell lief. Wenn er nach der Frühschicht schon am Nachmittag frei hatte, fuhr er mit dem Moped von der Fabrik bis zum nahen Forstenrieder Park. Im Wald schob er das Moped noch ein Stück und sammelte einen Sack voll Tannenzapfen ("Butzkien") für die Heizung im Winter.

Damals setzte eine Plastikfolien-Begeisterung  bei uns ein. Die Arbeiter durften Abfall und Reste mit nach hause nehmen oder billig kaufen. Mit den Folien haben wir Bücher eingebunden, Möbel überzogen und was sich sonst alles damit machen ließ. Holz war verpönt, eine Plastikfolie mit Holzmuster viel schöner.

Mit den 15 Jahren Fabrikarbeit hat mein Vater wenigstens einen ordentlichen Rentenanspruch erworben. Die Lebensversicherung aus seiner Zeit als Bäckermeister wurde zuerst 1948 durch die Währungsreform und danach durch die Inflation der D-Mark-Jahre entwertet.  Davon hätte er nicht leben können.

Wohnung in der Zenettistraße 26

Meine Mutter war vor ihrer Heirat  Köchin  bei der Bauunternehmer-Familie Späth.  Sie hatte immer noch  Kontakt zu ihrer früheren  Chefin, da  ihre Schwester Katharina ja den Polier der Firma geheiratet hat  und dort wohnte.
So wußte Frau Späth von unserer Wohnungsnot und als 1958 eine Wohnung frei wurde, bekamen wir diese.
Dafür mußte meine Mutter täglich das Büro im Vordergebäude putzen und auch als Köchin einspringen, wenn die Haushälterin des großen Späth-Haushaltes Urlaub hatte.

Mit der neuen Wohnung haben wir uns sehr verbessert. Es waren 3, wenn auch kleine Zimmer, eine Küche und ein Bad. Den Wamsler-Herd haben wir umgezogen und bis in den dritten Stock geschleppt.  Er wurde  mit den "Butzkien" geschürt und reichte als Heizung, denn meine Eltern wohnten in der Küche.    Das  dritte  Zimmer wurde an einen Studenten vermietet,  denn die  Miete von anfangs 90 DM war für uns alleine zu teuer.  Studenten vermittelte uns der Sohn der Familie Späth, der zu dieser  Zeit studierte.  Erster  Zimmerherr  war ein Grieche mit einem zungenbrecherischen  Namen ,  der  uns von jedem Heimaturlaub  als Souvenir eine originelle Vase mit brachte, die ich noch besitze.

Ich schlief weiter im Wohnzimmer im Klappbett. 1961 bis 1962 war ich  beim Militär "Grundwehrdienst". Danach hatten wir keinen Zimmerherrn mehr und ich bekam das große (Schlaf-)Zimmer. Ende 1963 habe ich dann geheiratet und bin ausgezogen. Da haben meine Eltern wieder um geräumt und das "hintere" Zimmer wieder vermietet. Zuletzt an eine entfernt Verwandte, die mit meinen Eltern 1971 noch in die Nonnenhornstraße umgezogen ist, bis sie dann geheiratet hat.

Letzter Beruf: Gärtner


Mit unserer Wohnung in der Nonnenhornstraße übernahmen meine Eltern auch den nahen Pacht-Garten.  Wir hatten schon das Grundstück gerodet und die Obstbäume durch Schnitt verjüngt.

Mein Vater hat sich als Rentner richtig "rein gehängt" und die Gartenarbeit gelernt, denn vorher hatte er nie mit einem Garten zu tun.  Das Grundstück war noch im Originalzustand der Münchener Schotterebene.  Drei Zentimeter Grasnarbe, darunter purer Kies.  Vom Hausmeister ließ sich mein Vater den Rasenschnitt und das Laub der ganzen Siedlung bringen und legte große Komposthaufen an. So hatte er bald genügend  Humus,  um mehr Gemüse anzupflanzen, als wir zusammen essen konnten.  Den Rest hat er an die Mitbewohner des Hochhauses verschenkt.

Reichlich spät, zum 75. Geburtstag schenkten wir ihm ein Gartenhaus und zum 85. Geburtstag haben wir noch ein Glashaus aufgestellt. Immer, wenn es das Wetter zu ließ, verbrachte er die Zeit im Garten. Auch im Winter mußte er wenigstens täglich nach schauen, ob alles in Ordnung war.


Zum ersten Teil (eigenhändig geschrieben)
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(C) Josef Kiening. München, 2008












 

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